Auch wenn die Tatsache selbst, dass Funktionsposten im Lager von Juden besetzt wurden, von ihren Mithäftlingen positiv aufgenommen wurde, empfanden dennoch viele die ihnen die von ihren Landsleuten versetzten Schläge noch viel schmerzlicher als die von deutschen Kapos. Elie Wiesel schrieb nach dem Kriege, er könne einen Blockältesten nicht vergessen, der „einen alten Mann nur deshalb schlug, weil er zu langsam die Mütze abnahm, und einen anderen schlug, weil ihm sein Gesicht nicht gefiel. Obwohl er selbst den Davidstern auf der Brust trug, nahm er einem gefallenen Juden das Hemd weg, weil dieses warm war, und einem anderen die Schuhe.” (Zitiert nach: H. Langbein, Ludzie w Auschwitz, S. 192).
Es sind keine Dokumente erhalten geblieben, die eine genaue Feststellung erlauben würden, wieviele nichtdeutsche Funktionshäftlinge in den einzelnen Teilen des KL Auschwitz solche Posten besetzten. Aus der Analyse der leider unvollständigen sog. Prämienlisten geht hervor, dass die Zahl jüdischer Kapos im Lager im Jahre 1944 höchstwahrscheinlich unter dem Durchschnitt lag. Der Lagerkommandant Höss erklärte in seinen Nachkriegsaussagen, dass dies das Ergebnis einer gezielten Politik der SS-Kommandantur war: auf diese Weise war man bemüht, sich die natürlich auftretenden Nationalitätenkonflikte zunutze zu machen, um die Häftlinge dadurch besser unter Kontrolle zu halten. Daher sollte dies die Form einer Empfehlung annehmen, in „jüdischen” Kommandos, wo es an Deutschen mangelte, Polen zu Kapos zu machen, während dort, wo die meisten Beschäftigten polnische Häftlinge waren, Juden als Funktionshäftlinge eingesetzt werden sollten. Allerdings ist kaum feststellbar, inwieweit dies der SS gelang zu erreichen, da die meisten Arbeitskommandos und praktisch alle Wohnblocks (Baracken) von polnischen oder jüdischen Häftlingen nicht besonders dominiert wurden. Bildlich gesprochen: da es zu den Grundpflichten eines jeden Kapos gehörte, unabhängig von seiner Nationalität, ein entsprechendes Arbeitstempo im Kommando zu erzwingen, schlug er mit dem Knüppel auf alle „Säumenden” ein, sowohl auf Juden als auch auf Polen.
Allerdings ist bekannt, dass die SS zumindest manchmal bemüht war, polnische Häftlinge in solchen Kommandos mit Kapoposten zu betrauen, die in ihrer überwiegenden Mehrheit aus Juden bestanden (wie z.B. in der Schneiderei in Auschwitz I), und analog dazu Juden dort, wo die polnischen Häftlinge zahlenmäßig dominierten (alle drei Lagerältesten im Lager für polnische Erziehungshäftlinge waren Juden). Oft jedoch – wie in beiden hier erwähnten Fällen – erbrachte dies fast keine der von der SS gewünschten Resultate.
Außerdem geht aus einigen Berichten ehemaliger Häftlinge hervor, dass wenn schon mal ein Jude einen Posten als Kapo bekam, er sich dann doch sehr anstrengen musste, damit er ihn nicht wieder verlor. Diesen Unterschied stellte Primo Levi in seinen Häftlingserinnerungen aus dem KL Auschwitz III-Monowitz bildlich dar: „Der Kapo ordnete einen erneuten Appell an (…) dann übergab er uns dem Vorarbeiter und ging in den Geräteschuppen am Ofen schlafen; dieser Kapo bereitet uns keine Unannehmlichkeiten, weil er kein Jude ist und daher auch keine Angst hat, seinen Posten zu verlieren.” (Primo Levi, Czy to jest człowiek, Kraków 1978, S. 63).