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JÜDISCHE FUNKTIONSHÄFTLINGE

DIE JUDENVERNICHTUNG IM KL AUSCHWITZ

DIE JUDENVERNICHTUNG IM KL AUSCHWITZ

JÜDISCHE FUNKTIONSHÄFTLINGE

In den ersten Jahren der Existenz des Lagers, als die SS alle neuangekommenen Juden in die Strafkompanie schickte, konnten sie natürlich keinerlei Funktionen im Lager übernehmen. Im übrigen waren diese Posten damals fast ausschließlich von deutschen Strafgefangenen (Kriminellen) besetzt. Aber es ist bekannt, dass schon 1941, sogar in der Strafkompanie selbst, einige Kapos bzw. Vorarbeiter Juden waren. Sie haben sich der Erinnerung der Mithäftlinge als besonders schlimm eingeprägt (ähnlich wie fast alle anderen Funktionshäftlinge dieses Kommandos auch).

Registrierungsfoto eines Häftlings, Kapo einer Strafkompanie in gestreifte Lageruniform in drei Ansichten: seitlich, frontal und aus schrägem Winkel. Auf dem letzten Foto trägt der Häftling eine Lagermütze.

Quelle: APMA-B

Der Kapo der Strafkompanie Mosze Gąska. Das Foto entstand kurz nach der Ankunft und Registrierung dieses Häftlings im Lager. Im Gesicht sieht man Spuren von Schlägen.

Bericht des ehemaligen Häftlings Stanisław Witek

[…] Das Kommando der S.K. arbeitete in dieser Zeit 12 Stunden lang bei der Kiesförderung nahe des Theatergebäudes. Eine besondere Gruppe in der Strafkompanie bildeten die Juden. Ihr Vorarbeiter war Izak Gąska [in Wirklichkeit Mosze (Moszko) Gąska – P.S.], ein Gepäckträger aus Nalewki in Warschau. Auf Anweisung des damaligen Kommandoführers der S.K., Schlagge, erdrosselte Gąska Juden und auch einige erschöpfte Polen. Dieses Würgen fand im sogenannten „Zimmer l” statt. Das war ein ausgehobenes Loch an der Böschung der Kiesgrube, wo Gąska den Deliquenten hinlegte und ihm einen Querstock auf den Hals legte, auf dessen zwei Enden er sich dann stellte, so dass er erstickte. Gleichzeitig stützte er sich mit einem Stock ab, so dass es von unten aussah, als würde er die arbeitenden Häftlinge beaufsichtigen. Nur speziell von Gąska ausgewählte Häftlinge, die ihm am Vortage ihr Brot oder ihre Suppe gegeben hatten, wurden vor dem Erwürgen mit einem Schlag auf den Kopf betäubt.

Quelle: Stanisław Witek, APMA B, Zespół Oświadczenia, Bd. 50, S. 140.

Erst 1942, nach Ankunft der großen Judentransporte, bekamen einige von ihnen die Chance, in sogenannten guten Kommandos (die bessere Überlebenschancen boten) beschäftigt zu werden oder mit der Funktion eines Blockältesten oder Kapos betraut zu werden. Zwar entschied formal jedesmal die SS über die Nominierung für diese Posten, aber in der Praxis wurden viele von ihnen nach Protegierung bestimmter Häftlinge mit in der Hierarchie höherstehenden Kollegen besetzt. Dabei konnte eine bestimmte Regelmäßigkeit festgestellt werden: und zwar dominierten im Männerlager Auschwitz I, wo die ersten Häftlinge Polen waren, diese später als Funktionshäftlinge die meisten Posten der mittleren und niederen Rangstufen, während im Frauenlager, wo die ersten Häftlinge Jüdinnen waren, diese fast sofort viele wichtige Posten des aus Häftlingen bestehenden Aufsichtspersonals (darunter als Blockälteste) übernahmen.

Registrierungsfoto einer Gefangenen, die ein Kleid und eine Schürze trägt, in drei Ansichten: seitlich, frontal und aus schrägem Winkel. Langes, hochgestecktes Haar.

Quelle: APMA-B

Katia Singer, Rapportschreiberin des Frauenlagers in Birkenau. Ihre Haltung gegenüber ihren Mithäftlingen wurde von Zeugen in der Nachkriegszeit gewöhnlich positiv beurteilt.

Auch wenn die Tatsache selbst, dass Funktionsposten im Lager von Juden besetzt wurden, von ihren Mithäftlingen positiv aufgenommen wurde, empfanden dennoch viele die ihnen die von ihren Landsleuten versetzten Schläge noch viel schmerzlicher als die von deutschen Kapos. Elie Wiesel schrieb nach dem Kriege, er könne einen Blockältesten nicht vergessen, der „einen alten Mann nur deshalb schlug, weil er zu langsam die Mütze abnahm, und einen anderen schlug, weil ihm sein Gesicht nicht gefiel. Obwohl er selbst den Davidstern auf der Brust trug, nahm er einem gefallenen Juden das Hemd weg, weil dieses warm war, und einem anderen die Schuhe.” (Zitiert nach: H. Langbein, Ludzie w Auschwitz, S. 192).


Es sind keine Dokumente erhalten geblieben, die eine genaue Feststellung erlauben würden, wieviele nichtdeutsche Funktionshäftlinge in den einzelnen Teilen des KL Auschwitz solche Posten besetzten. Aus der Analyse der leider unvollständigen sog. Prämienlisten geht hervor, dass die Zahl jüdischer Kapos im Lager im Jahre 1944 höchstwahrscheinlich unter dem Durchschnitt lag. Der Lagerkommandant Höss erklärte in seinen Nachkriegsaussagen, dass dies das Ergebnis einer gezielten Politik der SS-Kommandantur war: auf diese Weise war man bemüht, sich die natürlich auftretenden Nationalitätenkonflikte zunutze zu machen, um die Häftlinge dadurch besser unter Kontrolle zu halten. Daher sollte dies die Form einer Empfehlung annehmen, in „jüdischen” Kommandos, wo es an Deutschen mangelte, Polen zu Kapos zu machen, während dort, wo die meisten Beschäftigten polnische Häftlinge waren, Juden als Funktionshäftlinge eingesetzt werden sollten. Allerdings ist kaum feststellbar, inwieweit dies der SS gelang zu erreichen, da die meisten Arbeitskommandos und praktisch alle Wohnblocks (Baracken) von polnischen oder jüdischen Häftlingen nicht besonders dominiert wurden. Bildlich gesprochen: da es zu den Grundpflichten eines jeden Kapos gehörte, unabhängig von seiner Nationalität, ein entsprechendes Arbeitstempo im Kommando zu erzwingen, schlug er mit dem Knüppel auf alle „Säumenden” ein, sowohl auf Juden als auch auf Polen.


Allerdings ist bekannt, dass die SS zumindest manchmal bemüht war, polnische Häftlinge in solchen Kommandos mit Kapoposten zu betrauen, die in ihrer überwiegenden Mehrheit aus Juden bestanden (wie z.B. in der Schneiderei in Auschwitz I), und analog dazu Juden dort, wo die polnischen Häftlinge zahlenmäßig dominierten (alle drei Lagerältesten im Lager für polnische Erziehungshäftlinge waren Juden). Oft jedoch – wie in beiden hier erwähnten Fällen – erbrachte dies fast keine der von der SS gewünschten Resultate.


Außerdem geht aus einigen Berichten ehemaliger Häftlinge hervor, dass wenn schon mal ein Jude einen Posten als Kapo bekam, er sich dann doch sehr anstrengen musste, damit er ihn nicht wieder verlor. Diesen Unterschied stellte Primo Levi in seinen Häftlingserinnerungen aus dem KL Auschwitz III-Monowitz bildlich dar: „Der Kapo ordnete einen erneuten Appell an (…) dann übergab er uns dem Vorarbeiter und ging in den Geräteschuppen am Ofen schlafen; dieser Kapo bereitet uns keine Unannehmlichkeiten, weil er kein Jude ist und daher auch keine Angst hat, seinen Posten zu verlieren.” (Primo Levi, Czy to jest człowiek, Kraków 1978, S. 63).